Sexualstörungen

Was versteht man unter Sexualstörungen?

Es gibt zwei recht unterschiedliche Perspektiven auf die Frage, was unter einer sexuellen Störung verstanden werden kann:

Klassische Perspektive der Sexualberatung & Therapie

Die klassische Sexualtherapie orientiert sich nach dem Modell des berühmten Sexualforscherpaars William Masters & Virginia Johnson, dem „sexuellen Reaktionszyklus“. Ungestörte Sexualität ist demnach gegeben, wenn Lust, Erregung, Orgasmus und Entspannungsphase „ungestört“ ablaufen („Es funktioniert“).

Dementsprechend werden auch sexuelle Störungen als „Beeinträchtigungen im sexuellen Erleben und Verhalten, die befriedigende sexuelle Interaktionen unmöglich machen bzw. diese behindern“ definiert.

Für eine Diagnose müssen die Funktionsstörungen „seit mindestens 6 Monaten“ bestehen und deutlichen „Leidensdruck“ verursachen. (siehe ICD 10, International Classification of Diseases)

MERKE: Ein- und derselbe Zustand kann also als „Störung“ gelten oder auch nicht- je nachdem, ob SIE sich dadurch beeinträchtigt fühlen oder nicht. In manchen Fällen kann aber die Tatsache, dass Ihr Partner/ Ihre Partnerin, Ihr Umfeld oder auch gesellschaftliche Normen Ihren Zustand anders bewerten dazu führen, dass dadurch Leidensdruck entsteht. So kann z.B. Lustlosigkeit, ein unkontrollierbarer Samenerguss, eine bestimmte Vorliebe oder Ihre sexuelle Orientierung von Ihnen selbst nicht als Problem gesehen werden, wohl aber von Ihrem Gegenüber, was etwa zu partnerschaftlichen Konflikten führen kann.

Klassische „Funktionsstörungen“

Frauen Männer
Luststörungen Appetenzminderung/verlust
Sexuelle Aversion
Mangelnde sex. Befriedigung
Hypersexuelles Verlangen
Appetenzminderung/verlust
Sexuelle Aversion
Mangelnde sex. Befriedigung
Hypersexuelles Verlangen
Erregungsstörungen Ausbleibende Lubrikations–Schwellreaktion
Ausbleibende Befriedigung
Erektionsstörungen
Schmerzen Dyspareunie
Vaginismus (= Verkrampfen der Scheidenmuskulatur)
Dyspareunie
Orgasmusstörungen Ausbleibender Orgasmus
Ausbleibende Befriedigung
Ejakulationsstörungen
Samenerguss ohne Orgasmuserleben
Orgasmus ohne Samenerguss
Nachorgastische Verstimmung Depression, Gereiztheit, innere Unruhe, körperliche Beschwerden… Depression, Gereiztheit, innere Unruhe, körperliche Beschwerden…

Systemische Perspektive der Sexualberatung & -Therapie

Zurecht wurde klassische Ansatz oftmals kritisiert, denn obgleich die oben genannte diagnostische Struktur als hilfreich für eine erste Einordnung empfunden werden kann, so greift sie doch nur allzu oft zu kurz:

    1. Menschliche Sexualität ist weit komplexer als ein „funktionaler Ablauf“ von körperlichen Reaktionen- Menschen sind keine „Sex- Maschinen“, die nur „geölt“ werden müssen.

    2. Auch „funktionierende“ Sexualität muss nicht unbedingt lustvolle Sexualität sein.

    3. Eine „sexuelle Störung“ bedeutet noch lange nicht, dass Sexualität als unbefriedigend wahrgenommen wird.So genannte „Störungen“ haben häufig auch eine wichtige „Funktion“ – sie machen solche Sexualität schwer oder auch unmöglich, die ohnehin nicht als befriedigend erlebt werden würde.

    4. Hinter einer vermeintlichen „Störung“ steckt daher oftmals ein kreativer (psychosoziomatischer) Lösungsversuch: „SO will ich Sexualität eben NICHT leben!“

Seriöse Sexualtherapie kann daher nicht alleine zum Ziel haben, Menschen wieder „funktionstüchtig“ zu machen. Vielmehr geht es darum zu hinterfragen, wie die einzigartige Sexualität, die jedem eigen ist, gelebt werden WILL!

Aus dieser Perspektive der Sexualtherapie steht das „sexuelle Profil“ des Menschen im Vordergrund. Dieses besteht aus:

  • der (sexuellen) Biographie
  • Wünschen und Vorlieben
  • sexuellen Fantasien
  • erlebten sexuellen Kompetenzen und Schwächen
  • sexueller Identität und Orientierung
  • aktuell Gelebtem/ Ungelebtem
  • u.v.m.

Jede Person wird als selbstbestimmtes, lernfähiges und einzigartiges Individuum betrachtet.

Vermeintliche Störungen in der Sexualität mit sich selbst und anderen sind hier nicht vorrangig Zeichen dafür, dass etwas „schief läuft“, sondern beinhalten in sich selbst die eigentlichen Sehnsüchte- und sind somit Anzeichen für den Wunsch nach Veränderung.

Ich persönlich arbeite nach dem systemischen Ansatz, auch wenn mich das Studium der klassischen Sexualtherapie viel Nützliches gelehrt hat.

Mein persönlicher Zugang